Nominierung des sozialdemokratischen Kandidaten (SPE) auf das Amt des EU Kommissionspräsidenten (KK 20.12.2010)

Aus Positionen und Beschlüsse der SPD Stuttgart
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Adressaten

Sozialdemokratische Fraktion Europas, sozialistische Internationale, SPD Parteivorstand


Beschluss der Kreiskonferenz

Allen Mitgliedern einer sozialdemokratischen Partei in Europa, bis spätestens Anfang 2014, das Recht zu geben, mittels ihrer Stimme, einen sozialdemokratischen Kandidaten (SPE) für das Amt des europäischen Kommissionspräsidenten wählen zu dürfen. Der Anfang dazu soll heute hier von uns in Stuttgart ausgehen.


Begründung

Europa beeinflusst das Leben aller. Auch wir Stuttgarter sind von Europa tagtäglich betroffen und sind uns dies oftmals nicht in vollem Masse bewusst. Allein die folgenden Beispiele zeigen, dass selbst Entscheidungen des Stuttgarter Gemeinderats nicht unabhängig von den Entscheidungen der Europäischen Institutionen insbesondere des Europäischen Parlaments getroffen werden: Die Diskussion um die ENBW in Stuttgart kann nur unter Berücksichtigung der vom Europäischen Parlament getroffenen Richtlinien 2009/72/EG und 2009/73/EG geführt werden. Die Diskussion über den Rückkauf des Wassernetzes Stuttgarts, kann nur unter Berücksichtigung des Artikels 106 des Vertrages der Arbeitsweise der Europäischen Union geführt werden. Die Diskussion über Vergabe und Qualitätsstandards des ÖPNV, kann nur unter Berücksichtigung der vom Europäischen Parlament getroffenen Richtlinie EG 1370/ 2007 geführt werden. Die Diskussion und schlussendliche Einführung der Feinstaubregelung in Stuttgart musste durch den Gemeinderat aufgrund der vom Europäischen Parlament getroffenen Richtlinie 2008/50/EG durchgeführt werden. Selbst Kinderspielzeuge, die wir für unsere Kinder in Stuttgart kaufen, unterliegen den Produktsicherheitsregelungen, die vom Europäischen Parlament beschlossen wurden.

Europa hat maßgeblichen Einfluss auf unser Leben. Wir Sozialdemokraten dürfen Europa und die Entscheidungen, die das Leben unser aller betreffen, nicht den Konservativen oder noch übleren Parteien, da anti-demokratisch, überlassen. Wir müssen etwas tun, was uns hilft aus dem Tal der katastrophalen Europa Wahlergebnisse herauszukommen (2004 – 21,5%; 2009 20,8%).

Wir fordern daher eine Sozialdemokratie, die keine Angst hat vor ihren eigenen Mitgliedern und ihnen daher ein Recht gibt, das bisher nur Staatspräsidenten und Regierungschefs vorbehalten war. Das Recht den Kandidaten für das Amt des Europäischen Kommissionspräsidenten selbst wählen zu dürfen. Das Recht die höchsten Repräsentanten europäischer Institutionen wählen zu dürfen darf nicht mehr in der Hand einiger weniger verbleiben, die diesbzgl. nie einen Auftrag von uns oder ganz allgemein vom europäischen Bürger erhalten haben. Darüber hinaus steht inzwischen im Lissabon Vertrag Artikel 17 (Vertrag der Europäischen Union, in Kraft getreten am 1. Dezember 2009): Der Europäische Rat (die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union), schlägt dem Europäischen Parlament einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor; dabei berücksichtigt er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament. Das Europäische Parlament wählt diesen Kandidaten mit der Mehrheit seiner Mitglieder.

Dieser neue Artikel des Lissabon Vertrages, der de facto erst im Jahr 2014 zur Anwendung kommen wird, hat Ähnlichkeit mit dem Artikel 63 des deutschen Grundgesetzes, nachdem der Bundespräsident den Kanzler vorschlägt. Im Gegensatz zu Europa Wahlen ist allerdings bei nationalen Wahlen jedem Wähler weit im voraus bekannt, wer, so im Falle des deutschen Grundgesetzes, vom Bundespräsidenten als zukünftiger Bundeskanzler vorgeschlagen wird. Gleiches muss der Demokratie wegen auch auf europäischer Ebene geschehen. Dem Wähler muss im voraus bekannt sein, welcher sozialdemokratischer Kandidat der mögliche neue Kommissionspräsident werden wird. Der Lissabon Vertrag ermöglicht dies. Dies in diesem Sinne durchzusetzen ist insofern wichtig, um einen Präzedenzfall zu schaffen um den kein nationaler Regierungschef mehr umhin kann.

Ein Vorwahlkampf für die Nominierung eines europaweiten sozialdemokratischen Kandidaten auf das Amt des Kommissionspräsidenten hat daher den Vorteil, dass sich die zur Wahl stehenden sozialdemokratischen Kandidaten positionieren müssen und somit auch zu einer europaweiten sozialdemokratischen Programmatik entscheidend beihelfen werden. Darüberhinaus ermöglicht dies die Entwicklung einer Diskussionskultur, die über Grenzen hinweggeht. Dies ist eine einmalige Gelegenheit auf sozialdemokratische Anliegen, mittels eines Gesichts, europaweit aufmerksam zu machen und dabei ein ganz neues Kapitel sozialdemokratischer Geschichte aufzuschlagen. Ein Kapitel moderner Sozialdemokratie, das zum Ausdruck bringt, dass bei uns auch das einfachste Mitglied das Recht hat die höchsten staatlichen Ämter mitzubestimmen und somit ein wesentlich höheres Maß an Demokratie und Transparenz durchgesetzt wird als es bisher jemals auf europäischer Ebene der Fall war.

Dieser Ansatz ist eine Forderung der Basis und ein Bottom-Up Ansatz und ein Zeichen für ein Ende des Top-Down Ansatzes des letzten Jahrzehnts. Es ist eine Forderung der untersten organisatorischen Ebene unserer Partei, eines einfachen Ortsverbandes, und wir treten dafür ein, dass dieser Antrag von unten bis ganz oben durchgetragen wird und bis Anfang 2014 so umgesetzt wird, dass er jedem Mitglied das Recht auf Mitbestimmung gibt.

Wir fordern daher Martin Schulz, SPD Mitglied und Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im Europa Parlament, sowie den Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Europas Poul Nyrup Rasmussen, sowie Sigmar Gabriel SPD-Vorsitzender zusammen mit seinen Kollegen in den Mitgliedsländern der Europäischen Union ein Wahlsystem zu organisieren, das jedem Mitglied einer europäischen Sozialdemokratischen Partei das Recht gibt, seine Stimme für einen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten abgeben zu können. Der Kandidat, der die Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen kann, ist der Kandidat, der für das Amt des EU Kommissionspräsidenten kandidiert. Hinter diesem Kandidat/-in wollen wir als Sozialdemokraten/-innen geschlossen stehen und diesem unserem gemeinsamen Kandidaten zum Sieg verhelfen.

Abschließend wollen wir noch festhalten, dass die SPD Baden-Württemberg im letzten Jahr den Versuch unternommen hatte Ihren Vorsitzenden durch ihre Mitglieder wählen zu lassen. Dieser Versuch war ein Erfolg, wie allein an den damaligen, im Vorfeld der Wahl, stattfindenden Diskussionsrunden, der allgemeinen Aufbruchstimmtung, wie auch an Partizipation und Wahlbeteiligung, zu erkennen war. Was dem demokratischen Grundsatz auf regionaler Ebene gut, demokratisch und gerecht wird, kann insofern für Europa auch nur gut, demokratisch und gerecht sein.