Glückspiel in Spielhallen und im Internet (KK 20.12.2010)

Aus Positionen und Beschlüsse der SPD Stuttgart
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Adressaten

SPD-Landesvorstand, SPD-Landtagsfraktion, SPD-Bundestagsfraktion


Beschluss der Kreiskonferenz

Die Ausweitung des Glücksspiels in Spielhallen und Gaststätten sowie im Internet, die wir in den vergangenen Jahren erleben konnten, ist nicht hinnehmbar und ihr muss entgegengewirkt werden.

Die aktuell im Automatenspielbetrieb in Spielhallen und Gaststätten gewerblich eingesetzten Spielautomaten müssen zukünftig gleich wie Glücksspiel im Spielcasino behandelt werden, d.h. beispielsweise der Schutz vor Spielsucht und für Jugendliche müssen sichergestellt sein und Sperrlisten für pathologische Spielerinnen und Spieler müssen eingerichtet werden. Gewerblich betriebene Geldspielgeräte müssen durch technische Änderungen ihren früheren Charakter als ungefährliches Unterhaltungsspiel zurückerhalten, z.B. durch Umsetzung des Beschlusses Nr. 1/2008 des Fachbeirats „Glücksspielsucht“.

Die Kommunen brauchen wirksame Möglichkeiten, die Aufstellung von Glücksspielautomaten in Spielhallen und Gaststätten zu verbieten, und die Gebiete, in denen Spielhallen betrieben werden dürfen, einzuschränken.

Dem Problem des illegalen Glücksspiels im Internet muss entgegengewirkt werden, wobei wir „Netzsperren“ (wie bei der Kinderpornographie) ablehnen, stattdessen sollen die illegalen Seiten gelöscht werden. Die Trockenlegung von Geldströmen und die Einrichtung eines staatsmonopolistischen legalen Glücksspielmarkts im Internet sind sinnvolle Ansätze für eine langfristige Problemlösung.


Zur Begründung

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Anzahl von Spielhallen im Stuttgarter Stadtgebiet mehr als verdoppelt und in allen Bezirken schießen weiter neue Spielhallen wie Pilze aus dem Boden. Eine weitere Ver­dopplung der Anzahl der Spielgeräte in den kommenden Jahren ist bereits jetzt absehbar. Die Spielhallen gefährden nicht nur potenziell Spielsüchtige und Jugendliche, sondern beeinträchtigen auch die gewachsenen Strukturen in der Innenstadt und in den Bezirken äußerst negativ. Die Stadtverwaltung und der Gemeinderat stehen diesem Problem fast hilflos gegenüber, denn das Baurecht bietet nur eingeschränkte Möglichkeiten, die Einrichtung einer Spielhalle zu verhindern.

Der Boom der Spielhallen der vergangen Jahre ist einerseits darauf zurückzuführen, dass diese rechtlich nur als Gewerbe betrachtet werden und nicht als „Glücksspiel“ definiert sind, welches dem staatlichen Monopol unterliegt bzw. einer Konzessionserteilung bedarf. Andererseits hat die Änderung der Spielverordnung im Jahr 2006 dazu geführt, dass der Betrieb der Geldspielautomaten offensichtlich noch viel lukrativer geworden ist (um eine Spielhalle mit ausreichend Gewinn zu betreiben, genügen nun nur ca. sechs spielsüchtige „Stammkunden“ sowie ca. 50 Gelegenheitskunden). Diese juristische Einordnung steht in großer Diskrepanz zur hohen Regulierung und Suchtprävention im Lottospiel und im Spielcasino-Betrieb. Dies ist insofern unverständlich, da das staatliche Lottospiel nach Experten- und Expertinnenmeinung überhaupt kein Suchtpotential hat, und auf der anderen Seite etwa drei Viertel der ca. 100.000 bis 300.000 Spielsüchtigen in Deutschland von den weit weniger regulierten Geldspielautomaten in Spielhallen und Gaststätten oder vom illegalen Glücksspiel im Internet abhängig sind. Die Folgen dieser Spielsucht sind neben den dramatischen Auswirkungen auf die Familien der Süchtigen und dem persönlichen Armutsrisiko auch eine hohe Rate der Beschaffungskriminalität und Sui­zidgefährdung.

Der Einfluss der Glücksspiel-Branche ist gewaltig; kein Wunder, denn der Brutto-Umsatz von Glücksspiel in Deutschland ist mit ca. 30 Mrd. € pro Jahr fast so hoch wie der Landeshaushalt von Baden-Württemberg. Die Hersteller und Betreiber von Geldspielautomaten verdienen prächtig an der Ausnutzung der Krankheit der Süchtigen – etwa die Hälfte des Umsatzes in Spielhallen wird von Spielsüchtigen erbracht. Suchtprävention, Einlasskontrollen oder Sperrlisten für Süchtige gibt es – im Gegensatz zum Spielcasino – bei Spielhallen nicht.

Die Vorschläge des Fachbeirats „Glücksspielsucht“, um die Gefährlichkeit der Spielautomaten zu mildern und diese wieder zu einem Unterhaltungsspiel zu machen, sind: 1. die Mindestspieldauer unterschreitet nicht 60 Sekunden, 2. der Einsatz übersteigt nicht 0,20 Euro, 3. die Summe der Verluste im Verlauf einer Stunde über­steigt nicht 7 Euro, 4. die Summe der Gewinne abzüglich der Einsätze im Verlauf einer Stunde übersteigt nicht 30 Euro, 5. die Speicherung von Geldbeträgen einschließlich zuvor erzielter Gewinne übersteigt nicht 2 Euro, 6. die Spielverlaufsanzeigen entsprechen den jeweils bestehenden Gewinnwahrscheinlichkeiten, 7. vor jeder Spielaufnahme wird der/die Spielende über die Wirksamkeit der ihm/ihr zur Verfügung gestellten Spielbeein­flussungsmaßnahmen für die Höhe der Gewinnwahrscheinlichkeiten aufgeklärt, 8. die Angabe aller Spielergebnisse erfolgt ausschließlich in Geld, 9. Gewinne und Auszahlungen sind nicht mit auffälligen Geräuschen oder Lichtsignalen verbunden.

Die aktuellen Möglichkeiten der Kommunen, um die Einrichtung von Spielhallen und den Betrieb von Spielautomaten zu beeinflussen, sind gering, denn nur im Baurecht zu finden, das aufgrund teils historischer Gegebenheiten aber nur schwerlich als „Waffe“ gegen Spielhallen nützlich ist. Zusätzlich kann über die Vergnügungssteuer der Automatenbetrieb unattraktiver gemacht werden. Weitere machtvolle Möglichkeiten, mit denen die Aufstellung jedes einzelnen Automaten bestimmt werden kann, sind vonnöten.

Glücksspiel im Internet ist illegal – Hunderttausende „zocken“ aber trotzdem online, da das World Wide Web vor Ländergrenzen keinen Halt macht. „Access Blocking“, also „Zugriffssperren“, für bestimmte Seiten wurden vom Bundestag als das Mittel zum Zweck betrachtet, um die Kinderpornographie im Internet einzudämmen. Enormer Widerstand, der letztlich im Erfolg der Piratenpartei mündete, regte sich in der Internet-Community – nach unserer Meinung zu Recht, denn „Access Blocking“ löscht nicht den Seiteninhalt und kann von Willigen leicht umgangen werden und verpufft damit wirkungslos. Auf der anderen Seite wird eine „Zensur-Infrastruktur“ aufgebaut, die leicht für andere Zwecke ge- bzw. missbraucht werden kann. Eine machtvolle Strafverfolgung der Seiten-Betreiber, die Löschung der Seiten, und die Kontrolle und Trockenlegung von Geldströmen sind die effektiveren Methoden. Dasselbe gilt für das illegale Glücksspiel im Internet, weswegen wir eine Ausweitung des „Access Blocking“ auf das Glücksspiel ablehnen.

Auf der anderen Seite könnte illegales Glücksspiel im Internet auch durch das Anbieten von legalem, staatsmonopolitischem Glücksspiel im Internet eingedämmt werden. Die technischen Möglichkeiten, um die Spielsucht etwa bei Online-Sportwetten zu kontrollieren, sind sogar wesentlich einfacher als bei terrestrischem Spiel. Es ist auch nicht einzusehen, warum man seinen Lotto-Spielschein nach Registrierung nicht auch online ausfüllen sollte – wissenschaftliche Erkenntnisse, dass dies zu einer Spielsucht führen könnte, gibt es keine.

Das Problem des Glücksspiels an Geldspielautomaten und im Internet ist umfangreich und vielfältig: Bezirksbeiräte und Gemeinderäte kämpfen verzweifelt gegen die Flut von neuen Spielhallen in Ortszentren. Die Regulierung dieser Spielhallen ist nach der Föderalismusreform I Landesrecht, während für deutschlandweite Regelun­gen und das Glücksspiel im Internet der Bund gefragt wäre. Um die bisherigen Bestrebungen der SPD – wie z.B. die der Bezirksbeiräte und der Gemeinderatsfraktion oder das Konzept „Gleiche Spielregeln für alle“ der Land­tagsfraktion – gemeinsam zu erörtern und zusammenzufassen, wäre eine zeitlich befristete Ebenen-übergrei­fende Projektgruppe geeignet. Diese könnte im Lichte der Öffentlichkeit, die ob der Vermehrung der Spielhallen aufgeschreckt ist, zusammen mit Bürgerinnen und Bürgern sowie eingeladenen Expertinnen und Experten sinnvolle und effektive Wege erörtern, um die Spielsucht einzudämmen. Denn es steht außer Frage, dass die aktuellen rechtlichen Regelungen den gebotenen staatlichen Auftrag der Kanalisierung des Spieltriebs mit dem Ziel der Bekämpfung der Spielsucht und der Beschaffungskriminalität und des SpielerInnen- und Jugendschutzes bei Weitem nicht erfüllen und durch die inkohärente Gesetzgebung sogar konterkarieren.