Recht auf kommunale Selbstverwaltung schützen und Daseinsvorsorge sichern: Europaweite Liberalisierung der Trinkwasserversorgung verhindern! (KK 26.03.2012)

Aus Positionen und Beschlüsse der SPD Stuttgart
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Adressaten

Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament, Bundestagsfraktion

Beschluss der Kreiskonferenz

Wir fordern ein Umdenken bei der Europäischen Kommission! Unsere Forderungen im Einzelnen:

  1. Viele Kommunen sind bestrebt, effiziente, kundenorientierte und wettbewerbsfähige kommunale Unternehmen zu betreiben. Das sollte die Europäische Kommission als Leistung für den Binnenmarkt und Beitrag zum Gemeinwohl gleichermaßen anerkennen und nicht kaputt machen!
  2. Wir fordern, das Recht auf kommunale Selbstverwaltung zu schützen, die kommunale Daseinsvorsorge zu sichern und eine europaweite Liberalisierung der Trinkwasserversorgung zu verhindern!
  3. Die Europäische Kommission versucht mit ihrer Richtlinie zur Konzessionsvergabe eine Liberalisierung der Trinkwasserversorgung durch die Hintertür voranzutreiben. Dieses Bestreben muss durch ein entschlossenes Handeln auf allen Ebenen – in den Gemeinden, im Land, im Bund und im Europäischen Parlament – verhindert werden!
  4. Wir lehnen deshalb den Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission über die Konzessionsvergabe entschieden ab! Insbesondere eine Ausschreibungspflicht für Dienstleistungskonzessionen lehnen wir ab! Europa braucht nicht mehr, sondern weniger Bürokratie!
  5. Wir fordern die Abgeordneten des baden-württembergischen Landtages, des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments auf, sich gegen eine Ausschreibungspflicht für Dienstleistungskonzessionen auszusprechen und den Richtlinienentwurf der Kommission abzulehnen!
  6. Wir fordern die Landesregierung und die Bundesregierung auf, auf europäischer Ebene im Ausschuss der Regionen und im Rat der Europäischen Union den Richtlinienentwurf der Kommission abzulehnen sowie die kommunale Selbstverwaltung und die Trinkwasserversorgung in ihren bestehenden Strukturen zu schützen!
  7. Sollte es aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in der EU nicht möglich sein, die Konzessionsrichtlinie zu stoppen, fordern wir alle oben genannten Entscheidungsträger auf, die Wasserwirtschaft vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen!


Zur Begründung

Am 20. Dezember 2011 hat die Europäische Kommission in Brüssel ein Vergaberechtspaket vorgestellt. Teil dieses Paketes ist ein Richtlinienentwurf über die Konzessionsvergabe. Die EU-Kommission sagt, diese Richtlinie solle mehr Rechtssicherheit schaffen, kleinen Unternehmen mit weniger Bürokratie den Zugang zu Konzessionen erleichtern und den Binnenmarkt voranbringen. Dabei verschweigen die Brüsseler Beamten aber, dass gerade die vorgesehene Ausschreibungspflicht für Dienstleistungskonzessionen zu einem großen bürokratischen Mehraufwand für die Kommunen führt, die Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden gefährdet und darauf abzielt, die Trinkwasserversorgung in ganz Europa zu liberalisieren. Die Europäische Kommission erklärt nicht, was sie wirklich mit dieser Richtlinie bezwecken will und wie die einzelnen Bestandteile des Vorschlags unser Gemeinwesen berühren. Wir sind besorgt um unser Recht auf kommunale Selbstverwaltung sowie um die Sicherheit und Qualität unserer Trinkwasserversorgung!

Was haben die europäische Richtlinie über die Konzessionsvergabe und die geplante Ausschreibungspflicht für Dienstleistungskonzessionen mit unserem Trinkwasser zu tun? Mit einer Dienstleistungskonzession wird eine kommunale Aufgabe von der Kommune auf einen Dritten übertragen. In Deutschland befinden sich die Unternehmen der Wasserversorgung oft als Stadtwerke im Besitz der Kommune oder aber die Kommune hält zumindest die Mehrheit der Firmenanteile. Bei der Vergabe einer Dienstleistungskonzession im Fall der Wasserversorgung schließt eine Kommune mit einem Versorgungsunternehmen einen Vertrag ab. In diesem verpflichtet sich das Unternehmen für einen festgelegten Zeitraum, die Aufgabe, die Bürgerinnen und Bürger mit Trinkwasser zu versorgen, als Dienstleistung zu erbringen. Der Wasserversorger pflegt sodann seine Wasserwerke und seine Pumpen, baut sein Netz aus, sorgt für die Einhaltung der Trinkwasser-Qualitätskriterien und liefert den Bürgerinnen und Bürgern das kühle Nass bis in die Wohnung oder an den Arbeitsplatz. Als Gegenleistung bekommt der Wasserversorger für seine Dienstleistung kein Geld von der Kommune, sondern ihm wird das Recht eingeräumt, mit den Bürgerinnen und Bürgern direkt abzurechnen. So finanziert er seine Leistungen, trägt aber auch gleichzeitig das Risiko, wenn Kunden nicht zahlen oder die Bevölkerung zurückgeht.

Nach heutiger Gesetzgebung und Rechtsprechung unterliegen die Konzessionen nicht den europäischen Vergaberechtrichtlinien. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes, des Bundesrates, des Europäischen Parlaments und vieler Städte, Gemeinden und Kreise reicht es vollkommen aus, die europarechtlichen allgemeinen Grundsätze Transparenz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung bei der Vergabe einzuhalten. Wir sagen, das ist gut so. Wir wollen uns diesen Gestaltungs- und Handlungsspielraum erhalten. Wir wollen in den Kommunen entscheiden, wie wir mit kommunalen Unternehmen umgehen und Öffentlich-Private-Partnerschaften gestalten. Kommunale Zusammenarbeit und InhouseGeschäfte wollen wir stärken. Die Gewährleistung des Gemeinwohls muss unserem Verständnis nach durch den Staat gesichert werden. Heute können wir die Laufzeiten und die Bedingungen für die Wasserversorgung vertraglich weitgehend selbst bestimmen. Die vorgeschlagene EURichtlinie über die Konzessionsvergabe würde uns hier bestimmte Laufzeiten und Regeln im Vergabeverfahren aufzwingen. Eine europaweite Ausschreibungspflicht für Dienstleistungskonzessionen würde die Arbeitszeit vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren Verwaltungen in Beschlag nehmen. Eine umfangreiche Rechtsberatung wäre erforderlich, da unterlegene Bewerber vor den Vergabekammern klagen könnten. Unsere kleinen Gemeinden, in denen die Ortsbürgermeister allein die meiste Arbeit übernehmen, wären komplett überfordert.

Die kommunalen Verbände und Wasserwirtschaftsverbände warnen zudem vor der Gefahr, dass durch vergaberechtliche Wettbewerbsregeln gewissermaßen eine Liberalisierung der Wasserversorgung durch die Hintertür eintritt. Die Europäische Kommission zielt schon lange darauf ab, die Wasserversorgung in Europa zu liberalisieren. Die geplante Richtlinie über die Konzessionsvergabe mit einer europaweiten Ausschreibungspflicht für Dienstleistungskonzessionen ist ein weiterer Schritt in diese Richtung. Wir befürchten, dass finanzstarke Investoren oder Unternehmen aus ganz Europa die dann ausschreibungspflichtigen Konzessionen übernehmen und unsere kommunalen Wasserversorger vor Ort die Konzession verlieren. Da unsere kommunalen Wasserversorger an das Örtlichkeitsprinzip gebunden sind, können sie sich nicht einfach außerhalb der Kommune ein neues Beschäftigungsfeld suchen. Ein Wasserversorger würde seinen einzigen Geschäftszweck verlieren und müsste seine Wasserwerke und seine Leitungen an den Mitbewerber verkaufen. Das wäre dann wohl das Ende des einst qualitätsorientierten, bürger- und kundennahen Unternehmens vor Ort. Bei einer erneuten Ausschreibung Jahre später könnte dieses Unternehmen nicht mehr mitbieten, weil es schlicht nicht mehr existiert. Das sollen fairer Wettbewerb, Qualitätssicherung, Gemeinwohlorientierung und Kunden- sowie Bürgernähe im Sinne der EU sein?

Die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser ist elementarer Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Mit unserem wichtigsten Lebensmittel darf man nicht handeln wie mit jeder anderen Ware. Eine qualitativ hochwertige Versorgungssicherheit für alle hat für uns Priorität. In den bestehenden Strukturen liefern die deutschen Wasserversorger Trinkwasser in höchster Qualität zu kostendeckenden und fairen Preisen, die auch Kundenorientierung, Effizienz, Nachhaltigkeit und Umwelt berücksichtigen. Ein europäischer Wettbewerb zu Lasten unserer Trinkwasserqualität und unserer örtlichen Infrastruktur muss unbedingt verhindert werden!