Wirtschaftspolitik (KK 07.12.2009)

Aus Positionen und Beschlüsse der SPD Stuttgart
Version vom 13. November 2011, 14:05 Uhr von Spdadmin (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „'''Adressat:''' SPD-Landtagsfraktion, Landesparteitag '''Beschluss der Kreiskonferenz:''' # Die starken Schultern müssen deutlich mehr tragen als die Schwache…“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Wechseln zu: Navigation, Suche

Adressat: SPD-Landtagsfraktion, Landesparteitag


Beschluss der Kreiskonferenz:

  1. Die starken Schultern müssen deutlich mehr tragen als die Schwachen. Wir unterstützen die Forderung nach einer substantiellen Reichensteuer und nach der konsequenten Schließung aller Steuerschlupflöcher und Steueroasen.

    Wir halten die Einführung einer Vermögenssteuer zur Sicherung der Landesfinanzen genauso für notwendig, wie die Anhebung der Erbschaftssteuer auf große Vermögen. Mit einer höheren Erb­schaftsteuer können wir die dringend notwendige Bildungsoffensive finanzieren, die die Zukunft unseres Landes sichert. Die Börsenumsatzsteuer ist überfällig als ein Mittel der Regulation gegen das schnelle Rad im Spielcasino des Finanzkapitalismus und zur finanziellen Stärkung des öffentli­chen Bankensektors.

    Wir sagen konsequent: Nicht die Allgemeinheit darf in Milliardenhöhe für die Exzesse des Finanzkapi­talismus haften. Die Finanzwirtschaft muss ihre Schulden an den Staat und die Gesell­schaft in erster Linie selbst zurückzahlen.

    Wir setzen auf eine Arbeitsmarkt- und Wirtschaftpolitik, die mit mehr und mit fair bezahlter Ar­beit, mit starken Unternehmen mehr Steuereinnahmen in und für Baden-Württemberg entstehen lässt.
  2. Die nachhaltige Verbesserung der Einnahmen des Landes muss mit einer nachhaltigen Begren­zung der Ausgaben einhergehen, wenn wir aus der Schuldenspirale und der drohenden Hand­lungsunfähigkeit des Landes herauskommen wollen. Allerdings sprechen wir uns mit dieser Handlungsanleitung jedoch strikt gegen die kontraproduktive Schuldenbremse aus, wie sie mit der Föderalismus-Reformkommission II zwischen Bund und Ländern vereinbart wurde. Die im Grund­gesetz festgeschriebene Verpflichtung, ab dem Jahr 2020 Haushalte ohne neue Kredite aufzustel­len, nimmt dem Staat die notwendige Handlungsfreiheit, auf aktuelle Gegebenheiten adäquat re­agieren zu können.

    Auch muss genug Platz für klare Prioritäten und nachhaltige Zukunftsinvestitionen bleiben. Diese sehen wir vorrangig in der Bildungsförderung und bei der Unterstützung der Familien und der Kinder.
  3. Wir brauchen strukturelle Veränderungen in der Verwaltung und ein Höchstmaß an Mitbestimmung der Beschäftigten Dann können wir auch Personal einsparen. Die Beschäftigten dürfen nicht die Verlierer der Konsolidierung werden, haben sie doch mit Arbeitszeitverlängerung, Arbeitsverdichtung, Lohnzurückhaltung und teilweise -kürzungen sehr viel geleistet. Sie haben ei­nen Anspruch auf eine faire und verlässliche Behandlung.

    Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten garantieren:
    • Es gibt keine betriebsbedingten Kündigungen.
    • Es gibt keine Einschränkungen bei der Mitbestimmung.
    • Es gibt keine Einschränkungen bei der Gleichstellung.
  4. Bei den Entscheidungen um die Zukunft des Föderalismus in Deutschland haben wir erleben müs­sen, dass die konservativ regierten Bundesländer ihr Heil in einem Konkurrenz-Föderalismus su­chen. Wir plädieren und kämpfen stattdessen für mehr Zusammenarbeit in der Sache bei Bund, Länder und Kommunen – auch in Richtung Europa.

    Das Kooperationsverbot im Grundgesetz, gerade in den für die Zukunft so überaus wichtigen Bil­dungsfragen, muss fallen. Wir wollen keine Konkurrenz um der Konkurrenz willen, sondern Ko­operation im gemeinsamen Interesse der Länder und im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.

    Wir sind für eine neue Initiative, um im Zusammenwirken von Bund und Ländern zu einem neuen »echten Entschuldungsfonds« bis 2020 zu kommen, damit das Gebot des Grundgesetzes von der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in allen Teilen des Landes nicht unter die Räder kommt.


Begründung:

Ein handlungsfähiger Staat ist Voraussetzung für den Wohlstand im Land

Die Finanzmarktkrise, deren Ende immer noch nicht absehbar ist, hat unsere sozialen und demokrati­schen Staatsstrukturen existentiellen Gefahren ausgesetzt. Sie hat den Staat gezwungen, zahlungs­unfähige private Banken zu retten, weil ansonsten das gesamte Finanzsystem zusammengebrochen wäre. Aber auch im öffentlichen Bankensektor konnten die spekulativ geführten Landesbanken nur durch massive Interventionen der Eigner vor dem Ruin bewahrt werden.

Mit den Rettungsmaßnahmen des Staates wurde der größte Teil des Risikos des Spekulationskapitals von der öffentlichen Hand übernommen, anstatt die wertlosen Forderungen durch deren Eigner ab­schreiben zu lassen.

Private Banken müssen, wenn sie in die Zahlungsunfähigkeit geführt wurden, wie jedes andere insol­vente Unternehmen behandelt werden können. Sie dürfen nicht, warum auch immer und seien sie zu groß, so systemrelevant werden, dass sie den Staat erpressbar machen und zu Lasten der Allgemein­heit entschuldet werden müssen. Auch aus ordnungspolitischen Gründen gilt es hier, unser Kartellrecht um das Mittel der Zerschlagung zu ergänzen.

Mit der Krise des Weltfinanzmarktes hat sich erneut drastisch gezeigt, dass die Globalisierung rein nationalem Handeln Grenzen setzt. Deshalb brauchen wir u. a. neue Eigenkapitalregeln, eine öffentli­che Ratingagentur, eine Kon­trolle der Hedgefonds und eine europäische Finanzaufsicht. Aber solange der Staat nicht »stark« ge­nug ist gegenüber dem privaten Finanzsektor, den er beaufsichtigen soll, werden all diese neuen Instrumente wenig nützen.

Deshalb fordern wir, die Entwicklung und Förderung eines europäischen öffentlichen Finanzsektors. Er kann die Gefahr der Erpressbarkeit bannen. Nur eine zu entwickelnde Marktmacht eines öffentlich kontrollierten Finanzsektors kann dem privat organisierten Finanzbereich die notwendigen diszipli­nierenden Grenzen setzen.

In Baden-Württemberg stehen die Landesgarantien für die bei der LBBW angesammelten Risiken im Zentrum der weiteren Entwicklung der Landesfinanzen. Sie belasten durch ihre nichtabsehbare Größe den gegenwärtigen und viele künftige Landeshaushalte. Diese Garantien bilden den unsiche­ren Boden, auf dem die Rahmenbedingungen für die finanzielle Zukunft des Landes stehen.

Die Verursacher dieser Schieflage müssen zur Verantwortung gezogen werden. Zu den hauseigenen Risiken wurde im Sommer 2007 zusätzlich noch mit weiteren 18 Milliarden Euro ein Großteil der fi­nanziellen Risiken der SachsenLB übernommen.

Es gehört zu den demokratischen Pflichten und parlamentarischen Rechten, dass bei derart schwer­wiegenden Vorkommnissen wie dem Finanzeinbruch bei der LBBW die Ursachen und möglichen Fehler der Verantwortlichen vorbehaltlos aufgeklärt und entsprechende Konsequenzen gezogen werden, damit sich solche Vorgänge nicht wiederholen können.

Wir sind entschieden dafür, dass vollkommene Transparenz in die Verträge mit den Spitzenmanagern gebracht wird, weil nur so das nötige Vertrauen wieder wachsen kann. Gehaltsgrenzen umgehende Zusatzvereinbarungen darf es nicht geben.

Wir fordern deshalb die SPD-Landtagsfraktion auf, zur Aufklärung der Vorgänge und Verantwortlich­keiten einen LBBW-Untersuchungsausschuss zu beantragen.

Die Finanzkrise hat offengelegt, dass große Teile der privaten Bankwirtschaft weit über ihre Verhält­nisse gewirtschaftet haben und nun weder in der Krise noch für einen Wirtschaftsaufschwung genü­gend Eigenkapital besitzen, um die nötigen Kredite für die Realwirtschaft bereitstellen zu können. Der Staat muss nun aus dem Stand die drohende Kreditklemme beheben.

Wegen der grundlegenden Bedeutung der Finanzwirtschaft für die Gesamtwirtschaft und damit die Existenz unseres Staates muss künftig sichergestellt sein, dass sich eine so tief gehende Krise des Finanzmarktes nicht wiederholen kann.

Wir treten deshalb dafür ein, konstruktiv an einer langfristigen Sanierung und der Neuordnung des Systems der Landesbanken in Deutschland mitzuarbeiten. Diese soll eingebettet werden in einen koordinierten Ausbau und Verbund von öffentlichen Banken und Sparkassen aller EU-Mitgliedsländer zu einem europaweiten öffentlichen Bankensektor mit entsprechend demokratisch legitimierten Organisations- und Aufsichtsstrukturen.

Der künftige Verbund öffentlicher Banken soll in der Lage sein, auch für Großunternehmungen auf europäischer Ebene entsprechende Kredite zur Verfügung stellen zu können.

Die Sanierung der Landesbanken und die Mittelausstattung des Verbundes soll über die einzuführen­den Börsenumsatz- und andere Finanztransaktionssteuern mit entsprechender Kapitalaufstockung auf Dauer zu einer sich selbsttragenden Kapitalmasse in der nötigen Größenordnung führen.

Die Kosten der Bankenrettungsmaßnahmen dürfen nicht zu Lasten des Gemeinwohls und der Allge­meinheit aufgebracht werden und damit die Handlungsfähigkeit des Staates eingeschränken. Die neue Schuldenlast der öffentlichen Haushalte darf nicht die Leistungsfähigkeit des Sozialstaats min­dern und zum Abbau staatlicher Daseinsvorsorge führen.

Europa hat den größten Binnenmarkt der Welt geschaffen und eine einheitliche Währung eingeführt. Jetzt gilt es, die soziale Dimension der EU zu stärken – sie ist der zentrale Teil unseres europäischen Gesellschaftsmodells. Deshalb wollen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten das Wettbe­werbsprinzip der sozialen Dimension nachordnen. Im Mittelpunkt müssen die Menschen stehen – nicht die Märkte. Die in der Europäischen Grundrechtecharta festgelegten sozialen Grundrechte müssen Wirklichkeit werden.

Grundlegend für alle Sozialstaaten in Europa sind ein entwickelter und leistungsfähiger Staat, Sozial­systeme zur Absicherung elementarer Lebensrisiken, öffentliche Daseinsvorsorge, geregelte Arbeits­bedingungen sowie Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmer.

Diese Stärken Europas wollen wir weiterentwickeln. Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Sozial­staat gilt es, als ersten Schritt gemeinsame Mindeststandards durchzusetzen, durch Kooperation für alle Europäerinnen und Europäer nutzbar zu machen und durch den Austausch über beste Praxis zu verbessern. Wir können dabei viel voneinander lernen und uns gemeinsam neue Wege aus der Krise öffnen. Zudem werden damit faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Staaten festgelegt, um Sozialdumping zu verhindern. Wir wollen eine starke Europäische Union, die von den Menschen solidarisch und aus Überzeugung getragen wird. Deshalb sind wir für mehr Transparenz und Mitsprache auf allen europäischen Ebenen und eine stärkere Vernetzung zwischen der europäischen und den nationalstaatlichen Ebenen.

Nur mittels eines handlungsfähigen Staates ist soziale Demokratie in Europa, im Bund, im Land und in den Kommunen möglich. Nur ein leistungsfähiger Staat besitzt die notwendige Gestaltungsfreiheit und kann zum Nutzen der Menschen wirken. Nur ein vernünftiges Verhältnis von staatlichen Ein­nahmen und Ausgaben, nur eine ausgewogene Bilanz von langfristigen Zukunftsinvestitionen und rentierlicher Verschuldung sichert die Gegenwart und sorgt vor für zukünftige Generationen.

Wir wollen, dass dem Staat, dem Bund, den Ländern und den Kommunen die erforderlichen Einnah­men durch die notwendigen Steuern gesichert werden. Einen armen Staat können sich nur die Rei­chen leisten.

Die Schere zwischen Arm und Reich ist in den letzten Jahren zu Gunsten der ganz Reichen und damit auch zu Lasten des Staates stark auseinandergegangen. Noch nie waren in einem Aufschwung die Realeinkommen der Arbeitnehmerhaushalte gesunken. Die Früchte des letzten Konjunkturauf­schwungs ernteten allein die Unternehmen, die hohen Einkommensbezieher und großen Vermö­gensbesitzer, die diese vor allem für Finanzmarktinvestitionen anstelle realwirtschaftlicher Investitio­nen nutzten.

Wir brauchen deshalb einen Richtungswechsel, der dafür sorgt, dass der geschaffene Wohlstand allen zugutekommt. Es kann nicht sein, dass sich nur ein ganz kleiner Bruchteil sorgenfrei fühlt und die übergroße Mehrheit, Angst vor den Folgen der Krise und einem Absturz haben muss.

Dazu braucht der Staat die entsprechenden Mittel.