Bildungspolitik (KK 07.12.2009)

Aus Positionen und Beschlüsse der SPD Stuttgart
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Adressat

SPD-Landesparteitag, SPD-Gemeinderatsfraktion, SPD-Landtagsfraktion


Beschluss der Kreiskonferenz

Der SPD-Landesparteitag möge beschließen:

  1. sich verstärkt und nachhaltig für die zeitnahe Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems einzusetzen. Stattdessen fordert die SPD Baden-Württemberg die Einführung einer Gemeinschaftsschule für alle Kinder und Jugendliche bis zur zehnten Klasse. Auf dem Abschluss der Gemeinschaftsschule sollen weitere Schulabschlüsse aufbaubar sein;
  2. innerhalb der nächsten 2 Jahre eine flächendeckende Einführung von Ganztagsschulen in Baden-Württemberg umzusetzen;
  3. im Rahmen der Einführung von Ganztagsschulen Schulmodelle zu entwickeln, in denen, soweit möglich, Kinder mit- und ohne körperliche und/oder geistige Behinderung gemeinsam unterrichtet werden;
  4. im Kultusministerium eine Erweiterung der schulischen Bildungspläne um mehr politische Bildung und Demokratieerziehung durchzusetzen. Diese Erweiterung der Bildungsinhalte muss ebenso gesellschaftliche Themen wie Erziehung und Familie beinhalten. Eine ver­tie­fende Beschäftigung mit politischen und gesellschaftlichen Themen sollte im Rahmen der Schulfächer Gemeinschaftskunde/Politik, Geschichte, Geographie/Ethnograpie, Ethik und Deutsch verortet werden;
  5. in ganz Baden-Württemberg an allen Schulformen mehr Stellen für SchulpsychologInnen einzurichten sowie flächendeckend an allen Schulen eine 100%-Stelle für ein(e) Schul­sozial­arbeiterIn zu schaffen;
  6. ein landesweites, von der Landesregierung finanziertes Angebot an Sprachförderkursen für Kinder und Jugendliche mit Defiziten in der deutschen Sprache zu schaffen. Diese Förder­kurse sollen sich dabei nicht nur explizit an Kinder und Jugendliche mit Migra­tions­hinter­grund richten, sondern an alle Kinder und Jugendliche, die Kenntnisdefizite in der deut­schen Sprache aufweisen. Ebenso müssen Förderkurse so früh wie möglich ansetzen, sodass bereits Kindern im Kindergarten Zugang zu diesen Sprachkursen ermöglicht werden muss;
  7. eine verstärkte und verpflichtende Medienerziehung in Schulen und Kindergärten/Kin­der­tagesstätten einzuführen, um jungen Menschen einen verantwortungsbewussten Umgang mit Medien näherzubringen;
  8. die Ausbildung von LehrerInnen für alle Schultypen so zu modifizieren, dass die Fächer Psy­chologie und Pädagogik verpflichtend vertieft studiert werden müssen;
  9. sich für eine Installation von Lautsprecheranlagen oder anderen Audio-Alarmsystemen in den Klassenzimmern aller öffentlichen Schulen einzusetzen, um eine bessere und schnellere Verbreitung von Informationen in Notfällen zu gewährleisten;
  10. ein umfangreiches Weiterbildungssystem für LehrerInnen zu erarbeiten und einzuführen, in welchem Fortbildungen themenspezifisch in gewisser Anzahl zur Pflicht werden. Die zusätz­liche Arbeitszeit wird auf die Deputatsstunden angerechnet, wobei dies zu keinem Unter­richtsausfall führen darf. Das Weiter­bil­dungs­system soll nach einem Punktesystem organi­siert werden, welches Zielvorgaben für die LehrerInnenaus- und -fortbildung beinhaltet;
  11. an allen Schultypen eine stärkere, vor allem finanzielle und personelle Förderung von Arbeitsgemeinschaften zu gewährleisten. Schwerpunktbereiche der zu fördernden Arbeits­ge­mein­schaften sind dabei Politik/Geschichte, Sprachen, Sport, Umwelt und Musik;
  12. in Zusammenarbeit mit der Polizei und Sozialpädagogen ein erweitertes Angebot von Gewaltpräventionskursen für Schüler und Lehrer außerhalb des Unterrichts einzurichten.


Begründung

Das baden-württembergische Schulsystem wird als extrem leistungsschwach und in keiner Weise zukunftsfähig befunden. Junge Schülergenerationen werden von Jahr zu Jahr von der Schule schlechter auf das Berufsleben oder den Einstieg in ein Hochschulstudium vorbereitet. Dies belegen Befragungen in Unternehmen, die Ausbildungsplätze für junge Menschen anbieten, und die Quoten der Studienabbrecher. Besonders im internationalen Vergleich schneiden deutsche Schüler­Innen seit Jahren auffällig schlecht ab.

Die Idee der Chancengleichheit ist hierzulande nicht im Schulsystem auffindbar. Kinder werden in Baden-Württemberg bereits nach vier Jahren Grundschulzeit in Gewin­ner und Verlierer unterteilt, nämlich in solche, die eine Empfehlung fürs Gymnasium erhalten und denen damit alle Türen offen stehen und solche, die lediglich eine Empfehlung für die Hauptschule bekommen und damit aufs Abstellgleis geschoben werden. Unserer Meinung nach ist es nach so kur­zer Zeit und in dem jungen Alter, in welchem sich Kinder nach der vierten Grundschulklasse befinden, nicht möglich, ihre Fähigkeiten und Stärken klar einzuschätzen und sie in einen der drei bestehenden Schultypen der weiterführenden Schule einzuordnen. Kinder benötigen für ihre Entwicklung Zeit und diese möchten wir ihnen mit einer zehnjährigen Gesamtschule zugestehen. Wissenschaftliche Unter­suchungen haben gezeigt, dass ein langes, gemeinsames Lernen von Kindern allen zugute kommt und nicht die »schlechten« SchülerInnen begünstigt und die »guten« SchülerInnen bremst. Gemeinsames Lernen fördert zudem in hohem Maße die sozialen Kompetenzen junger Menschen und stärkt Werte wie Hilfsbereitschaft, Solidarität und Kameradschaft. Ein wichtiges Ziel der Schulausbildung muss unserer Meinung nach eine Stärkung der Gemeinschaft sein. Hierzu fordern wir eine weit reichende Erweiterung der schulischen Lehrpläne um die Themen politische Bildung und Demokratieerziehung. Denn nur über eine Förderung der Gesellschaft und des Demokratiebewusstseins kann ein friedliches Zusammenleben in der Gemeinschaft gesichert werden.

Ebenfalls lässt die Chancengleichheit zwischen Kindern mit und Kindern ohne Migrationshintergrund im baden-württembergischen Schulsystem stark zu wünschen übrig. Eine gleichberechtigte Förde­rung aller Kinder und Jugendlicher, egal welchen Geschlechts, welcher Nationalität oder welcher Ethnie sie angehören, muss oberstes Ziel eines sozialen und gerechten Schulsystems sein. Wir for­dern die Einführung von Sprachförderkursen für alle Kinder und Jugendliche mit Sprachdefiziten. Die gezielte Förderung der Kenntnisse in der deutschen Sprache muss sowohl für Kinder und Jugendliche mit- und ohne Migrationshintergrund angeboten werden. Des Weiteren muss die Sprachförderung so früh wie möglich, am besten im Kindergarten, ansetzen. Weiter fordern wir die Einführung des Fa­ches Ethik als Pflichtfach, da dort ein gemeinsames Lernen aller Schüler zu den Themen Religion, Gerech­tigkeit und Werteerziehung möglich ist. Mit einer Vermittlung der Inhalte aller großen Welt­religionen soll die Entstehung von Vorurteilen und Ängsten gegen einzelne Religionsgruppen und de­ren Anhän­ger verhindert werden. Spezieller Religionsunterricht soll darüber hinaus auf freiwilliger Teilnahme­basis angeboten werden.

Ebenso wird die Abschaffung der Ausgrenzung von Menschen mit Behinde­rung, egal welcher Art, aus dem öffentlichen Schulsystem, gefordert. Zur Überwindung von Ungleichbehand­lung, Vorurteilen und Ängsten gegenüber Menschen mit Behinderung, muss ein Modell des gemein­samen Lernens von Kindern und Jugendlichen mit- und ohne körperliche und/oder psychische Behin­derung geschaffen werden. Zur Schaffung von Chancengleichheit im baden-württembergischen Schulsystem gehört unserer Meinung nach in großem Maße auch die Integration von Menschen mit Behinderung.

In Zeiten, in denen die Gewaltbereitschaft von jungen Menschen immer weiter zunimmt und der Einfluss der Medien auf Kinder und Jugendliche immer größer wird, gilt es, verstärkt auf deren Be­dürfnisse, Wünsche und Befindlichkeiten einzugehen. Wir dürfen die zukünftigen Leistungsträger der Gesellschaft nicht sich selbst und der Erziehung durch die Medien überlassen. Eine Medienerziehung in der Schule ist deswegen zwingend notwendig. Junge Menschen sollen lernen und dabei verstehen, wie sie die ihnen heute zur Verfügung stehenden Medien nutzen können und sollen. Unserer Mei­nung nach läuft die Diskussion um Gewalt verherrlichende Computerspiele in weiten Teilen in eine falsche Richtung, denn es sind nicht allein die Spiele, die junge Menschen gewaltbereiter machen, sondern der Umgang mit Themen wie Gewalt, Missbrauch u. Ä. in der Gesellschaft. Heute liegt eine besondere Aufgabe darin, Kindern und Jugendlichen den Umgang mit und die Folgen von realer Ge­walt näherzubringen. Dazu dienen die geforderten außerschulischen Gewaltpräventionskurse.

Es wird eine stärkere Erziehungsaufgabe der LehrerInnen in allen Schultypen, nicht nur in der Grundschule, gefordert. Die Erziehung junger Menschen hört nicht mit dem zehnten oder elften Lebensjahr auf. Unter Erziehung verstehen wir auch nicht eine Bevormundung der SchülerInnen, sondern eine Begleitung und Unterstützung ihrer Entwicklung, indem Hilfestellungen und Anregun­gen bereitgestellt werden. Regeln dürfen nicht nur aufgezwängt werden, sondern müssen von jungen Menschen selbst erkannt werden, um anerkannt zu werden. Deswegen fordern wir eine Erweiterung und Vertiefung der psychologischen und pädagogischen Ausbildung von LehrerInnen. Die Schule soll schließlich nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, sondern ein Ort des Lernens vielfältiger Kompe­tenzen sein.

Mit der Einführung eines flächendeckenden Ganztagsschulsystems in Baden-Württemberg kann ein großer Schritt hin zur stärkeren Identifikation der SchülerInnen mit ihrer Schule getan werden. In einer Ganztagsschule geht es nicht nur um die reine Unterrichtung von Schulfächern, es geht darüber hinaus um die Gestaltung gemeinsam zur Verfügung stehender Zeit und auch um die gemeinsame Ausübung außerschulischer Aktivitäten. In Ganztagsschulen können Arbeitsgemeinschaften am Nachmittag viel stärker gefördert und betreut werden. Notwendigerweise müssen dafür die Ange­bote ausgeweitet werden, was nur über eine finanzielle und personelle Förderung von Seiten der Landesregierung funktioniert. In die Tätigkeit von Arbeitsgemeinschaften können Ehrenamtliche eingebunden werden, die Fachkompetenzen in den Bereichen Politik und Geschichte, Sprachen, Sport, Musik, Kunst und Kultur, etc. einbringen. Im System der Ganztagsschule werden alle Schulen dazu verpflichtet, Betreuungsangebote für die Schüler am Nachmittag zu schaffen, die nicht nur die ganz kleinen Kinder bis 10 Jahre betreffen. Hiermit kann für die Eltern eine noch bessere Vereinbar­keit von Familie und Beruf erzeugt werden.