Steuergerechtigkeit statt Erbschaftssteuer! (24.10.2016)

Aus Positionen und Beschlüsse der SPD Stuttgart
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Adressaten

SPD-Bundesparteitag

Beschluss

Mehr Steuergerechtigkeit bei der Erbschaftssteuer

Die dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses entsprechende Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist unzureichend, weil die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nur halbherzig umgesetzt wurden. Die Privilegierung von Betriebsvermögen ist nach wie vor nur schwerlich mit dem Gleichheitssatz des Artikels 3 Grundgesetz vereinbar. Die Mandatsträger der SPD werden deshalb aufgefordert, sich auch weiterhin für die Beseitigung der Privilegierungen bei Steuerbefreiungen für Erben großer Unternehmen und für ein verfassungskonformes Erbschaftsteuerrecht einzusetzen.

Die Beachtung des Gleichheitssatzes ist dabei freilich nicht der einzige Aspekt von sozialer Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit verlangt gleichrangig auch die Beachtung des Sozialstaatsprinzips: Chancengleichheit und soziale Teilhabegerechtigkeit. Auch wenn diese Ziele nicht in einem Schritt erreichbar sind, muss ein verfassungskonformes Erbschaftsteuerrecht folgenden Anforderungen genügen:

  • Die Erbschaftsteuer muss auch der Herstellung sozialer Chancengleichheit dienen.
  • Mit der Erbschaftsteuer muss der Staat zielgerichtet auf gleiche Lebenschancen hinwirken.
  • Reichtum darf sich nicht in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumulieren und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwachsen.
  • Die Konzentration des Vermögens der Superreichen darf nicht weiter steigen, sondern muss zugunsten der Ärmsten umverteilt werden.
  • Abgesehen von Freibeträgen für kleine und mittlere Erbschaften, ist die Verschonung von Steuern nur mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen, dem Gemeinwohl und der Verwirklichung des Sozialstaates zu rechtfertigen.

Begründung

1. Gang der Gesetzgebung

Mit Urteil vom 17. Dezember 2014 hatte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die Privilegierung des Betriebsvermögens bei der Erbschaftsteuer für verfassungswidrig erklärt. Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, bis zum 30. Juni 2016 eine Neuregelung zu treffen.

Der Bundestag hatte – freilich erst am 24. Juni 2016, eine Woche vor Ablauf der vom Verfassungsgericht gesetzten Frist – die Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer beschlossen. Weil CSU und CDU noch in allerletzter Sekunde verfassungsrechtlich bedenkliche Sonderbehandlungen erzwungen hatten, musste das Gesetz jedoch nachverhandelt werden, nachdem der Bundesrat am 8. Juli 2016 den Vermittlungsausschuss angerufen und damit die Reform der Erbschaftsteuer vorläufig gestoppt hatte.

Da die Reform somit nicht bis zum 30. Juni 2016 umgesetzt worden war, hatte der Vorsitzende des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Schreiben an die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat vom 12. Juli 2016 mitgeteilt, dass der Senat sich Ende September mit dem weiteren Vorgehen im Normenkontrollverfahren um das Erbschaftsteuer- und Schenkungssteuergesetz befassen werde.

Eine Woche vor Ablauf dieser „Galgenfrist“, in der Nacht zum 22. September 2016, beschloss der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat einen Kompromissvorschlag. Der Einigungsvorschlag wurde dem Bundestag zugeleitet. Dieser hat am 29. September 2016 die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses angenommen. Der Bundesrat hat am 14. Oktober dem Gesetzesvorschlag ebenfalls zugestimmt. Damit kann die Erbschaftsteuerreform rückwirkend zum 1. Juli 2016 in Kraft treten.

2. Rechtstatsachen

Zur Höhe des in Deutschland jährlich geerbten und geschenkten Vermögens gibt es –leider – keine verlässlichen Statistiken.

Nach den Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) werden jährlich 200 bis 300 Milliarden € vererbt oder verschenkt. Etwa die Hälfte der Transfers liegt unter 50.000 €. Transfers über 500.000 € erhalten 1,5 % der Begünstigten, auf die ein Drittel des gesamten Übertragungsvolumens entfällt. Die 0,08 % der Fälle mit Transfers über 5 Millionen € erhalten 14 % des Übertragungsvolumens und gut die Hälfte der Unternehmensübertragungen, die allerdings bei der bisherigen Erbschaftsteuer weitgehend steuerfrei blieben, Daran hat die Reform kaum etwas geändert.

Nach dem Statistischen Bundesamt (Pressemitteilung vom 7.10.2015) erhöhte sich das geerbte und geschenkte Vermögen Im Jahr 2014 um 54,6 % gegenüber dem Vorjahr auf 108,8 Milliarden €.

Die von den Finanzverwaltungen veranlagten Vermögensübertragungen aus Erbschaften und Vermächtnissen beliefen sich auf 38,3 Milliarden € und aus Schenkungen auf 70,5 Milliarden €. Die Vermögensübergänge mit einem Wert von mehr als 20 Millionen € stiegen auf 51,1 Milliarden €. Diese Großerwerbe erreichten einen Anteil von 47,0 % am insgesamt geerbten und geschenkten Vermögen. Insgesamt war das Betriebsvermögen mit 44,5 % die wertmäßig größte übertragene Vermögensart. Auch bei den Schenkungen entfiel darauf der höchste Anteil (62,7 %). Die Übergänge von Unternehmensvermögen beliefen sich insgesamt auf 48,5 Milliarden € brutto und bei Schenkungen auf 44,2 Milliarden € brutto.

Aufgrund von Freibeträgen und den umfangreichen Steuerbefreiungen nach § 13a Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG), die auf Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftliches Vermögen sowie Anteile an Kapitalgesellschaften gewährt werden, betrug der Wert der steuerpflichtigen Vermögensübergänge nur 33,8 Milliarden €. Die hierfür festgesetzte Steuer stieg im Jahr 2014 um 15,1 % auf rund 5,4 Milliarden €, davon waren 4,3 Milliarden € Erbschaft- und 1,1 Milliarden € Schenkungsteuer. Anteilmäßig mussten damit 11,3 % des geerbten und 1,6 % des geschenkten Vermögens als Steuern gezahlt werden. Im Jahr 2015 hat sich das Steueraufkommen geringfügig auf 6,29 Milliarden € erhöht.

Für den Bereich der Erbschaftsteuer besitzt der Bund die Gesetzgebungskompetenz. Das Aufkommen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer steht allerdings nach Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG den Ländern zu.

3. Urteil des BVerfG vom 17.12.2014

Weil diese Steuerbefreiungen der Erbschaft- und Schenkungsteuer ungerecht sind, hat das Bundesverfassungsgericht die gesetzlichen Regelungen wegen des Verstoßes gegen den Gleichheitssatz für verfassungswidrig erklärt. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat auf Vorlage des Bundesfinanzhofs mit Grundsatzurteil vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 – einstimmig entschieden, dass die Verschonung von Erbschaftsteuer beim Übergang betrieblichen Vermögens in §§ 13a und 13b ErbStG angesichts ihres Ausmaßes und der eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Deswegen hat er den Gesetzgeber verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 30. Juni 2016 zu treffen.

Das Bundesverfassungsgericht ging von folgenden Steuerdaten aus:

Das jährliche Aufkommen von Erbschaft- und Schenkungsteuer liegt seit Jahren nahezu konstant zwischen 4 und 5 Milliarden €. Es betrug im Jahr

2009 4,5 Milliarden € 2012 4,6 Milliarden €

Demgegenüber hat sich nach den vom Bundesministerium der Finanzen dem Bundesverfassungsgericht vorgelegten statistischen Auswertungen der Steuerwert des durch Erwerbe von Todes wegen und Schenkungen übertragenen Vermögens in den Jahren von 2007 bis 2012 mehr als verdoppelt:

2007 33,7 Milliarden € 2008 35,3 Milliarden € 2009 37,5 Milliarden € 2010 40,7 Milliarden € 2011 54,0 Milliarden € 2012 74,2 Milliarden €

Durch die §§ 13a und 13b ErbStG wurden von diesen Steuerwerten nach den Angben des Bundesministeriums der Finanzen immer höhere Beträge steuerfrei gestellt:

2009 3,4 Milliarden € 2010 7,2 Milliarden € 2011 20,0 Milliarden € 2012 40,2 Milliarden €

Diese statistischen Angaben beziehen sich allerdings nur auf die von den Finanzbehörden erfassten Fälle. So wurde im Jahre 2010 von insgesamt 858.768 Sterbefällen lediglich in 51.490 Sterbefällen eine Erbschaftsteuerveranlagung durchgeführt. Ein Verschonungsabschlag nach § 13a ErbStG, der den steuerpflichtigen Erwerb reduziert oder ganz auf null abgesenkt hat, wurde dabei in 2.440 Sterbefällen gewährt.

Das Bundesverfassungsgericht hat bei den Verschonungsregelungen der §§ 13a und 13b ErbStG einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG festgestellt. Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit. Die Steuerpflichtigen müssen dem Grundsatz nach durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden. Der Verfassungsverstoß liegt darin, dass diese Regelungen den Erwerb bestimmter Vermögensarten von der Erbschaft- und Schenkungsteuer verschonen und so in verschiedenerlei Hinsicht zu Ungleichbehandlungen führen. Das bewirkt eine Besserstellung der Erwerber unternehmerischen Vermögens gegenüber den Erwerbern sonstigen Vermögens, die zwar im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, im Bereich des Übergangs großer Unternehmensvermögen aber der Korrektur bedarf.

Die durch die Verschonungsregelungen bewirkte Ungleichbehandlung zwischen Erwerbern betrieblichen und nichtbetrieblichen Vermögens ist – so das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich – enorm. Nach den vom Bundesministerium der Finanzen vorgelegten Auswertungen der amtlichen Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik wurden von dem Steuerwert des in den Jahren 2009 bis 2012 insgesamt unentgeltlich übertragenen Vermögens mehr als ein Drittel über §§ 13a und 13b ErbStG von der Erbschaft- und Schenkungsteuer befreit. Und: Das Maß der Ungleichbehandlung ist umso größer, je umfangreicher der steuerbefreite Erwerb ist. Da die §§ 13a und 13b ErbStG keine Obergrenze in Bezug auf das begünstigungsfähige Vermögen vorsehen, können bei Einhaltung der Verschonungsbedingungen auch Betriebe mit Unternehmenswerten von mehreren Hundertmillionen oder auch mehreren Milliarden Euro erbschaft- und schenkungsteuerfrei übertragen werden.

Dazu trägt die verbreitete Praxis bei, dass Steuerpflichtige steuermindernde Gestaltungen wählen, durch die Steuererleichterungen in Anspruch genommen, oder in entsprechender Weise Steuerbelastungen vermieden werden, ohne dass solche Gestaltungen schon einen Missbrauch im Sinne von § 42 AO darstellen müssen. Dazu sagt das Bundesverfassungsgericht: Steuergesetze, die entgegen ihrer Zwecksetzung steuermindernde Gestaltungen in erheblichem Umfang zulassen, können von Anfang an verfassungswidrig sein. Dies gilt erst recht, soweit § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG Gestaltungen zulässt, welche die unentgeltliche Übertragung von Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten ohne Einhaltung der Lohnsummenvorschrift ermöglichen.

Der Bundesfinanzhof hatte in seinem Vorlagebeschluss beanstandet, dass das Gesetz Gestaltungen offen stehe, die es in vielen Fällen ermöglichten, den Verschonungsabschlag auch bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten zu erhalten, ohne dass es für sie auf die Entwicklung der Lohnsummen und damit auch nicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen in dem Zeitraum nach dem Erwerb ankomme. Er führte dazu als Gestaltungsbeispiel an, dass ein Betrieb mit mehr als 20 Beschäftigten vor der Verwirklichung des Steuertatbestands bei gleichen Beteiligungsverhältnissen in eine Besitzgesellschaft mit nicht mehr als 20 Beschäftigten, bei der das Betriebsvermögen konzentriert wird, und in eine Betriebsgesellschaft, deren Betriebsvermögen nach Berücksichtigung der Verbindlichkeiten keinen oder einen nur sehr geringen Steuerwert hat und die eine beliebige Zahl von Beschäftigten haben kann, aufgespalten wird. Die Anforderungen an die Entwicklung der Lohnsumme spielten dann bei der Besitzgesellschaft keine Rolle.

Gerade auch die Möglichkeit solcher Betriebsaufspaltungen hat das Bundesverfassungsgericht beanstandet: §§ 13a und 13b ErbStG sind nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, soweit sie zu nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlungen führende steuerliche Gestaltungen zulassen, nämlich die exzessive Ausnutzung der Befreiung von der Lohnsummenpflicht durch die Aufspaltung in Besitz- und Betriebsgesellschaft.

Daher kann ein verfassungsgemäßer Zustand nur durch eine umfassende Nachbesserung oder grundsätzliche Neukonzeption der Gesamtverschonungsregelung herbeigeführt werden.

Ein verfassungskonformes Erbschaft- und Schenkungssteuerrecht muss die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts strikt und ohne Einschränkungen umsetzen. Es muss deshalb den Gleichheitssatz mit Leben ausfüllen und das heißt insbesondere:

Große Vermögen (damit sind vor allem die vom Bundesverfassungsgericht genannten Betriebe mit Unternehmenswerten von mehreren Hundertmillionen oder auch mehreren Milliarden Euro gemeint) dürfen nicht nur – wie bisher – privilegiert werden. Vielmehr muss gerade bei solchen Vermögen der Grundsatz der Lastengleichheit im Gesetz erkennbar zum Ausdruck kommen.

4. Sozialstaatsprinzip beachten

Bei der Beachtung des Gleichheitssatzes darf der Gesetzgeber aber nicht stehen bleiben. Nicht nur die vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Ungleichbehandlungen sind zu beseitigen. Zusätzlich muss das Sozialstaatsprinzip leitender Gedanke bei der Gesetzesreform sein.

Das haben vor allem die Senatsmitglieder Gaier, Masing und Baer in ihrer – leider zu wenig beachteten – abweichenden Meinung eindringlich angemahnt. Sie stimmen der Entscheidung zu, sind aber der Ansicht, dass zu ihrer Begründung ein weiteres Element gehört: Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG.

Das begründen diese Verfassungsrichter wie folgt überzeugend:

Erst die Beurteilung der mit den angegriffenen Vorschriften bewirkten Ungleichbehandlungen im Lichte des Sozialstaatsprinzips sichert die Entscheidung weiter ab und macht ihre Gerechtigkeitsdimension voll sichtbar.

Die Erbschaftsteuer ist ein Beitrag zur Herstellung sozialer Chancengleichheit, die sich in einer freien Ordnung nicht von selbst herstellt. Die freie Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik beruht auf der für den modernen Staat selbstverständlichen Annahme der rechtlichen Freiheit und Gleichheit aller Bürger. Mit dieser durch die Verfassung gewährleisteten Grundlegung des Gemeinwesens in der Freiheit und Besonderheit des Einzelnen werden gesellschaftliche Ordnungsbildung und Entwicklung weitgehend dem freien Spiel der Konkurrenz und sich hierbei bildender Unterscheidungen überlassen. Die rechtliche Gleichheit verbunden mit der individuellen Handlungs- und Erwerbsfreiheit und der Garantie des Eigentums entbindet eine weitreichende Dynamik und führt unweigerlich zur Entstehung materieller Ungleichheit unter den Bürgern. Dies ist gewollt und elementarer Inhalt einer freiheitlichen Rechtsordnung.

Insoweit bedarf es aber eines Ausgleichs. Dies gilt insbesondere für die Eigentumsordnung, denn im Eigentum gerinnt die Ungleichheit der freigesetzten Gesellschaft zur Materie und wird Ausgangspunkt neuer Ungleichheiten.

Das Grundgesetz hat mit seiner Verpflichtung aller öffentlicher Gewalt auf das Sozialstaatsprinzip die Ausrichtung auf soziale Gerechtigkeit zu einem leitenden Prinzip aller staatlichen Maßnahmen erhoben. Die Erbschaftsteuer dient deshalb nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern ist zugleich ein Instrument des Sozialstaats, um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwächst. Dass hier auch im Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit eine Herausforderung liegt, zeigt die Entwicklung der tatsächlichen Vermögensverteilung.

Gerade die Konzentration des Vermögens im obersten Dezil ist im vergangenen Jahrzehnt stark gestiegen, wobei das wahre Ausmaß an Ungleichheit bei der Verteilung des Vermögens auch mit diesen Zahlen noch nicht voll erfasst ist, weil die Haushalte mit dem besonders großen Vermögen mangels von den Betroffenen zu erlangender Zahlen nicht berücksichtigt werden konnten Demgegenüber verfügten rund 28 % der erwachsenen Bevölkerung im Jahr 2012 über kein beziehungsweise ein negatives Vermögen, wobei dieser Anteil seit dem Jahr 2002 ebenfalls signifikant angestiegen ist. Der für die Vermögensverteilung international herangezogene Gini-Koeffizient ist entsprechend von 0,62 im Jahr 1993 auf 0,78 im Jahr 2012 gestiegen, sodass Deutschland gegenwärtig innerhalb der Eurozone den höchsten Grad an Ungleichheit bei der Verteilung des Vermögens aufweist. Als Ursache für die wachsende Ungleichheit lässt sich nach der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausmachen, dass gerade die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen im Vergleich zu den Arbeitnehmerentgelten überdurchschnittlich gestiegen sind.

Die Erbschaftsteuer bestimmt und beschränkt in Blick hierauf den Inhalt des in Art. 14 Abs. 1 GG garantierten Erbrechts. Sie wirkt damit der Gefahr entgegen, dass durch eine zunehmende Ungleichverteilung von Mitteln die Chancen auf gesellschaftliche wie politische Teilhabe auseinanderdriften und sich so letztlich Einfluss und Macht zunehmend unabhängig von individueller Leistung verfestigen und an Herkunft gebunden sind. Mit diesem Zweck ist die Erbschaftsteuer ein Instrument, mit dem der Staat ungleichen Lebenschancen entgegenwirkt. Der mit ihr ins Werk gesetzte Ausgleich trägt dazu bei, dass persönliche Freiheitswahrnehmung und Fähigkeiten nicht nur abstrakt, sondern real die Grundlage unserer Ordnung bleiben und sich so Freiheit und Gleichheit auch in der Lebenswirklichkeit verbinden.

Die Schaffung eines Ausgleichs sich sonst verfestigender Ungleichheiten liegt in der Verantwortung der Politik – nicht aber in ihrem Belieben. Mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG nimmt das Grundgesetz den Gesetzgeber in die Pflicht, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Dies wirkt sich auch auf die Anforderungen an deren Ausgestaltung aus. Begründet der Gesetzgeber durch Befreiungen, wie sie im vorliegenden Verfahren zu beurteilen sind, Ungleichbehandlungen, unterliegen diese einer umso größeren Rechtfertigungslast, je mehr sie geeignet sind, soziale Ungleichheiten zu verfestigen.

Dabei belässt die Verfassung dem Gesetzgeber dabei freilich einen weiten Spielraum. Der Gesetzgeber ist insoweit aber auch aufgrund seiner Bindung an Art. 20 Abs. 1 GG nicht nur berechtigt, Ererbtes und Schenkungen steuerlich zu belasten, sondern auch besonderen Rechtfertigungsanforderungen unterworfen, je mehr von dieser Belastung jene ausgenommen werden, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen leistungsfähiger sind als andere

Die vom Senat entwickelten Rechtfertigungsanforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG für die privilegierende Befreiung von unternehmerischen Vermögen von der Erbschaftsteuer erhalten hierdurch eine weitere verfassungsrechtliche Grundierung. So hat es auch eine sozialstaatliche Dimension, wenn Verschonungsregeln so gestaltet sein müssen, dass mit ihrer Hilfe nicht zugleich auch im großen Umfang nicht unternehmerisches Privatvermögen der Erbschaftsteuer entzogen werden kann oder durch Gestaltungsmöglichkeiten die gemeinnützigen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Ziele der Befreiungen umgangen werden können.

Eine solche sozialstaatliche Dimension hat vor allem aber auch der zunehmende Rechtfertigungsbedarf in Abhängigkeit von dem Maß der Ungleichbehandlung und damit dem Umfang des verschonten Vermögens. Werden gerade diejenigen verschont, die als erfolgreiche Unternehmer über die größten Vermögen und damit auch über erheblichen Einfluss auf das Gemeinwesen verfügen, und wird gerade ihnen ermöglicht, dieses Vermögen unter Befreiung der sonst nach Leistungsfähigkeit auferlegten Lasten an Dritte, insbesondere an Familienmitglieder, weiterzureichen, ohne dass diese hierfür eigene Leistung oder Fähigkeiten eingebracht hätten, verfestigt und verstärkt dies die ökonomische Ungleichheit.

Zwar können auch bei dem Erwerb sehr großer und größter Vermögen Steuerbefreiungen gerechtfertigt sein. Dies verlangt aber, dass die Verschonung im Einzelfall zur Erhaltung von Arbeitsplätzen oder sonst zum gemeinen Wohl und damit zur Verwirklichung des Sozialstaates tatsächlich erforderlich ist. Nur dann ist die durch sie begründete Ungleichbehandlung gerechtfertigt. Das Sozialstaatsprinzip strahlt so in den Gleichheitssatz hinein.